KATEGORIE / Madagaskar

Frau Dr. Anna Klöpfer

Nach einigen Jahren meiner Tätigkeit als Internistin in deutschen und Schweizer Kliniken suchte ich eine neue Herausforderung, auch weil mich die perfektionierte, teure ‚Hochglanzmedizin’ nicht mehr befriedigte. Zudem war ich das ständige und aufwendige Schreiben leid. Mehr Büroarbeit als direkter Kontakt mit Patienten – so hatte ich mir meinen Traumberuf nicht vorgestellt. Als Jugendliche wuchs ich einige Jahre in Südafrika auf und hatte seitdem immer ein wenig Fernweh. Zudem habe ich während des Studiums weitere Praktika in Südafrika gemacht und ein Jahr in Lambaréné (Gabun) an einer Malariastudie mitgearbeitet. Dadurch habe ich ein Faible für die Tropenmedizin entwickelt. Zusätzliches theoretisches Wissen eignete ich mir in einem dreimonatigen Kurs für Tropenmedizin in London an.

Somit wuchs der Wunsch, in einem afrikanischen Land zu arbeiten und mich dort sinnvoll als Ärztin einsetzen zu können.

Nach Madagaskar verschlug es mich dann eher zufällig. Mit Hilfe und durch Empfehlung des Melzer-Madagaskar-Projektes konnte eine Anstellung an der Clinique St. Luc für 2 Jahren vereinbart werden. Das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) (siehe Erklärkasten) setzte die Jobvermittlung in die Stelle an der Klinik um und fördert meinen Einsatz finanziell durch Zuschüsse zum lokalen Gehalt. Somit brach ich im September 2012 in den Südwesten Madagaskars auf, um an der Klinik zum einen Patienten zu versorgen, aber auch um nachhaltig Strukturen und Abläufe zu verbessern.

Inzwischen arbeite ich seit 9 Monaten in Tuléar und bin vollständig in das Team integriert. Am Anfang wurde ich noch vorsichtig beäugt, da ich die einzige „Vazaha“ (Fremde oder Weiße) im Team bin. Doch nach kurzer Zeit konnte ich das Vertrauen gewinnen und wurde mit offenem Herzen aufgenommen.

Die Tage beginnen mit der Ärztebesprechung. Hier werden die Patienten und insbesondere schwierige Fälle diskutiert. Danach geht es zur Visite oder in die ambulante Sprechstunde. Um selbstständig arbeiten zu können, habe ich mir in der Zwischenzeit die wichtigsten Kenntnisse des Madagassischen angeeignet. Nur noch ab und zu muss ich eine Krankenschwester zum Übersetzen bitten. Besonders die ärmeren Leute vom Land sprechen häufig kein Wort französisch und die madagassischen Dialekte sind unterschiedlich gut verständlich.

Der Ablauf der Sprechstunde und der Krankenvisite ist im Grunde ähnlich wie in Deutschland. Wir haben knapp 40 stationäre Betten. Aufgeteilt sind diese in 3 verschiedene Klassen, wobei internistische, chirurgische und pädiatrische Patienten bunt durcheinander liegen. Die wohlhabende Oberschicht leistet sich für knapp 10 Euro pro Nacht ein Einzelzimmer in der ersten Klasse mit eigener Toilette und Dusche, teils Klimaanlage. Die zweite Klasse kostet rund 3,60 Euro mit Toilette und Dusche auf dem Gang. Für die dritte Klasse kostet ein Bett lediglich 1,60 Euro. Dafür gibt es jedoch wenig Komfort, es sind mehrere Patienten in einem Zimmer, ein Plumpsklo befindet sich draußen. Durch diese Aufteilung gelingt es, auch die ärmeren Patienten zu behandeln. In Härtefällen werden Behandlungskosten sogar von der Klinik übernommen. Für alle Patienten gilt, dass die zahlreichen Familienangehörigen die Patienten umsorgen und für die Verpflegung verantwortlich sind.

Der größte Unterschied in der Behandlung ist, dass es keine fachspezifische Aufteilung der Patienten gibt und man somit eine enorme Bandbreite an Erkrankungen behandelt. Es gibt zudem viele Tropenerkrankungen. Diese  Mischung ist für mich eine Herausforderung, gleichzeitig macht sie die Arbeit aber auch sehr spannend und vielseitig. So sehe ich im ersten Zimmer beispielsweise einen operierten Patienten nach Prostataentfernung, im nächsten einen Mann mit Schlaganfall und Diabetes, dann ein Kind mit Magen-Darm-Grippe, und anschließend eine Frau mit Malaria.

Typische internistische Krankheitsbilder sieht man erstaunlicherweise genauso häufig wie daheim. Dazu gehören Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas und deren Folgeerkrankungen.

Vorstellig werden viele Patienten erst, wenn ihre Erkrankung schon weit fortgeschritten ist. Dies liegt hauptsächlich an den fehlenden finanziellen Mitteln. Folglich werden Schmerzen und körperliches Leiden ertragen und als schicksalhaft hingenommen. Weiterhin wird  häufig zunächst der traditionelle Mediziner befragt. So sieht man gelegentlich abstruse Fälle, wie den eines kleinen Jungen, der erst 2 Wochen nach einem Unfall mit offenem Unterarmbruch eingeliefert wird. Den herausstehenden Knochen hatte man zu Hause mit Tee und Creme behandelt und er war in der Zwischenzeit halb verfault.

 

Zur Diagnostik stehen zwar längst nicht alle Apparate und Tests zur Verfügung wie in Deutschland oder der Schweiz, aber immerhin können gute grundlegende Untersuchungen gemacht werden. Es gibt ein Ultraschallgerät, Röntgenapparat und ein Labor, welches relativ gut ausgestattet ist. So können hier unter anderem Blutbild, Leber-und Nierenwerte, Urinuntersuchungen und wichtige Infektionskrankheiten getestet werden. Auch Bluttransfusionen werden gemacht. Zu meinem Erstaunen stellte ich allerdings anfangs fest, dass die Malariadiagnostik nur unzureichend durchgeführt wurde, obwohl es so viele Malariafälle gibt und daher eine gute Diagnostik umso wichtiger ist. Ich habe diverse Anläufe gebraucht, um den Laborchef von einer Veränderung zu überzeugen. Doch im Endeffekt haben wir gemeinsam die verbesserte Technik erarbeitet.

 

Für die Behandlung steht eine große Auswahl an Medikamenten in der Klinikapotheke zur Verfügung. Nur ganz spezielle Medikamente wie für Chemotherapien gibt es nicht. Diese wären in der knapp 1000 km entfernten Hauptstadt erhältlich, aber sind für kaum jemanden erschwinglich. Für die chirurgische Versorgung gibt es einen gut ausgestatteten Operationssaal. Die Instrumente können im Autoklaven sterilisiert werden. Die Geburten werden in einem alten Saal gemacht, der dunkel und wenig einladend ist, so dass hierfür in der Zukunft eine Renovierung vorgesehen werden muss.

 

Zur Visite werde ich vom Pflegepersonal und Krankenpflegeschülern begleitet. Während der Visite erkläre ich die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, hygienische Aspekte und leite pflegerische Tätigkeiten an. Auch gezielte Fortbildungen für das Pflegepersonal biete ich an. Der Grossteil des Pflegepersonals ist hoch motiviert, so dass Besprochenes gut umgesetzt wird. Zudem wird bei der Arbeit viel gelacht und die Zusammenarbeit macht Freude. Eine wichtige Verbesserung, die umgesetzt werden konnte, ist die Isolation der Tuberkulose-Patienten, welche bisher nicht gemacht wurde. Die speziell dafür vorgesehenen Schutzmasken haben wir kistenweise im Lager gefunden. Jetzt werden diese auch gewissenhaft vom Personal getragen, wenn ein Tuberkulose-Patient isoliert ist.

In den kommenden Monaten stehen einige Projekte an. Zum einen beginnt bald die Renovierung der 3. Klasse mit Neubau der Sanitäranlagen. Hierzu werden die Patienten vorübergehend in ein älteres Gebäude umgesiedelt. Weiterhin habe ich Fortbildungen im Bereich Notfallmedizin und Reanimation geplant, welche mit praktischen Übungen ergänzt werden und alle paar Monate wiederholt werden sollen. Einen Notfallkoffer habe ich bereits zusammengestellt und neu eingeführt. Für den Bereich der Lehre ist eine Bibliothek für das medizinische Personal geplant. Bücher und Lehrmaterial müssen aber nach und nach vor allem aus Europa eingeführt werden. Als Highlight bemühe ich mich zudem um die Anschaffung eines Laptops mit Internetzugang, welcher für Recherchen zur Verfügung stehen soll. Bisher haben weder die Ärzte noch Pflegepersonal Zugang zu Internet und das Gelernte begründet sich auf die Dinge, die im Studium gelernt wurden. Dieses liegt aber oft bereits Jahre zurück!

Ich freue mich auf die anstehenden Projekte und Pläne für die Klinik. Es bleibt eine stetige Herausforderung, diese möglichst zu aller Zufriedenheit umzusetzen.

Juli 2013
 Anna Klöpfer

Reisebericht Frühjahr 2013

Madagaskar im Frühjahr 2013: Die Hauptstadt Antanarivo zeigt ein pulsierendes Leben. Die Armut und der Dreck haben sichtbar zugenommen seit unserem letzten Besuch, mehr Bettler und Kleinkriminelle, noch mehr Korruption, mehr Polizei aber auch mehr sehr vereinzelt sichtbarer Wohlstand, wie z.B. teure Geländewagen. Alles Folge des Putsches gegen den zuvor legal gewählten Präsidenten 2009. 
Später erleben wir deshalb auf dem Land eingeschränkte Verwaltung, schwierige Selbstversorgung, desolate Strassen, ein vor dem Kollaps stehendes Bahnsystem des berühmten Dschungelexpresses nach Manakara, Landraubbau, gigantische Erosionsschäden, fehlender Schutz der wenigen verbliebenen Naturreservate, aber auch Jugendliche mit Gewehren auf der Straße. 
Nickelminen wurden an ausländische Investoren verhökert. Die Fahrt über mehr als 1000 Kilometer von Tana nach Tuléar auf der RN 7, der einzigen und lebenswichtigen Straße von Nord nach Süd, ist extrem viel schlechter als noch vor eineinhalb Jahren. Manche Strecken sind fast nur noch mit madagassischem Gleichmut und Allrad oder den allgegenwärtigen Zebukarren zu schaffen. Wenige Orte bieten uns Europäern unterwegs die Möglichkeit zur sicheren Bleibe. Dort pulsiert der Handel mit den kargen landwirtschaftlichen Produkten und chinesischem Kitsch. Unterwegs bleiben wir dauerhaft beeindruckt von Lehm- und Holzhütten ohne Strom und Wasser, unheimlich vielen Kindern, bettelarmen, kaum bekleideten Menschen entlang der Straße und knochenharter Arbeit auf den Feldern. Reis wird mit der Sichel geerntet, in riesigen Bündeln nach Hause getragen, mit der Hand gedroschen und liegt zum Trocknen in der Sonne. Fast alle Lasten werden hier getragen, manche Fahrzeuge mit Vollholzrädern erinnern an das Mittelalter. Zebukarren sind genauso überladen wie die Überlandkleinbusse. Technischen Fortschritt sucht man hier vergebens.

An der Klinik St. Luc in Tuléar dann ein begeisterter Empfang unter Freunden. Der schlimme Zyklon, der hier in der Stadt vier Wochen zuvor 23 Menschenleben gekostet hatte – 12 wurden noch vermisst und Tausende wurden obdachlos – hat an der Klinik vergleichsweise wenig Schaden angerichtet. Aufgrund der nicht legitimierten Putschregierung bleibt ausländische Hilfe rar und auf Nichtregierungsorganisationen beschränkt. So wurden von den USA 50.000 Dollar zur Verfügung gestellt. Wir besichtigten die vom Zyklon total zerstörte staatliche Schule Motombe in Tuléar. Von der Regierung zugesagte Hilfe blieb aus. Die Reisküche ist komplett zerstört, allen Räumen fehlt das Dach. Der Unterricht geht im Schatten der Wände zwar weiter, aber viele Kinder bleiben ohne Reismahlzeit nun weg. Unvorstellbar erschütternde Bilder!

Seit unserem letzten Aufenthalt hat sich an der Clinique St.Luc viel gebessert. Die mit unserer Planung und Finanzierung rekonstruierte Ambulanz wirkt nun modern, sauber und einladend. Alle Zimmer sind jetzt mit Waschbecken und Desinfektionsmittelspendern ausgestattet. Es gibt neue Toiletten für Männer und Frauen. Das Dach ist neu, die Fenster und Türen auch und Böden und Wände gefliest. Toll! Dr. Rakotomavo und Frau Dr. Klöpfer, die als deutsche Internistin vermittelt und bezahlt von unserem Verein hier arbeitet, führen uns durch die Klinik. Malaria, Typhus und Lebensmittelvergiftungen, Durchfall und Erbrechen haben seit dem Taifun erheblich zugenommen. Andere Teile der Klinik sind in einem erbärmlichen Zustand. In einer Patientenbaracke ist das Dach undicht, Putz blättert, Toiletten fehlen oder sind kaputt. Es gibt noch viel zu tun! Am Ende landen wir im von Dr. Melzer senior gestifteten Op- Saal mit modernem Op- Tisch, Narkosegeräten und Klimaanlage. Deren Bedeutung spüren wir bei weit über 30 Grad besonders gut. 
Über Ostern ist es wie in Deutschland auch an der Klinik etwas ruhiger. Die Sprechstunden und Besprechungen mit dem Personal sind interessant und effektiv. Wir bekommen gezielt ambulante und stationäre Patienten mit neurologischen und urologischen Erkrankungen vorgestellt und können gut helfen. Zwei Hebammen der Klinik belegen Dr. Hönemann mit Beschlag und lernen begierig europäische Standards beim Umgang, der Untersuchung, dem Impfen und der Pflege der Babies. Wir übergeben große Mengen an dringend benötigtem Nahtmaterial, Spezialkathetern, Verbands- und Büromaterial. Spenden- und Vereinsgelder sind gedacht zur Rekonstruktion der Krankenbaracke für die Ärmsten. Für uns unvorstellbar: In dieser Baracke gab es bisher nicht einmal Toiletten.

In langen Gesprächen mit der Kliniksleitung, vielen Mitarbeitern und fast immer mit Frau Dr. Anna Klöpfer wird eine intensive Freundschaft und Vertrauen deutlich, aber auch die Not. Für uns ist es nicht einfach, die vielen Widersprüche zu begreifen: Die Klinik bietet eine gute medizinische Versorgung, aber wichtige Medikamenten oder Materialien wie z.B. AIDS- Teste fehlen. Die Beachtung von Hygiene ist noch immer unzureichend, aber doch deutlich besser als noch vor 18 Monaten. Fehlende Einnahmen der Klinik aufgrund der unglaublichen Armut der südmadagassischen Patienten führen zu einer schlechten Bezahlung des Personals, so haben einige Leistungsträger der Klinik in den letzten Jahren die Stadt Richtung Norden verlassen. Wir sind begeistert vom Können und von der Leistungsbereitschaft der Ärzte, Schwestern und vieler anderer Mitarbeiter. Ethnische Besonderheiten, Medizinmänner, Armut und religiöse Vorgaben führen dazu, dass viele Patienten spät oder zu spät den Weg in die Klinik finden. Nicht jeder Patient kann kostenlos behandelt werden! Zwei neue Hebammen, in der Hauptstadt gut ausgebildet, verstärken das Team. Werbung für die guten Entbindungsmöglichkeiten an der Klinik wurde in der 180.000 Einwohnerstadt aber nicht gemacht. Medizinische Hilfsmaterialien werden teilweise nicht verwendet, da ihr Wert überschätzt wird und das Vertrauen in Nachschub fehlt. Aus Angst vor Korruption und Missbrauch muss Vieles gesichert werden. Das führt zu zusätzlichen Wartezeiten, Kosten, Problemen. Die Mehrzahl der Patienten hat noch nie ein WC gesehen oder benutzt. Sie sind Analphabeten. Vom Staat erhält die Klinik keinerlei Subventionen.

Unser Fazit: Hier ist ideelle und materielle Hilfe dringend weiter nötig, wurde und wird auch dankbar angenommen. Wir als Verein, kompetente Mitarbeiter an der Klinik und Frau Dr. Klöpfer garantieren deren zielgerichtete Verwendung. Zuversichtlich über die gelungene wertvolle Unterstützung zur besseren Versorgung von vielen Patienten der Region Tuléar in Madagaskar und der sozialen Absicherung von mehr als 50 Kliniksmitarbeitern und deren Familien sowie mit neuen Plänen für die kommenden Jahre fliegen wir nach Hause in eine andere Welt.

 

April 2013

 

Dres. Heike und Frank Melzer

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