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Jahresbericht 2013

Liebe Mitglieder des Vereins, liebe Helfer, Spender und Unterstützer!

In Madagaskar stand das Jahr 2013 ganz im Zeichen der Präsidentschaftswahlen. Nach 4 quälend langen Jahren des Stillstandes, der Resignation, der Korruption, der Armut und des Ausverkaufes der Schätze des Landes mit einer zunehmenden Verelendung der ohnehin armen Bevölkerung durch eine unfähige Regierung unter Putschpräsident Andry Rajoelina kam Hoffnung auf. Laut oberstem Wahlgericht CES hat aber bei einer Stichwahl dessen verlängerter Arm und Ex-Finanzminister Hery Rajaonarimampianina mit 53,5% der Stimmen gewonnen. Dessen Wahlkampf soll 43 Millionen US- Dollar gekostet haben! Und das in Madgaskar. Die Wahlbeteiligung lag bei 50%. Der unterlegene Dr. Robinson spricht von groß angelegter Wahlfälschung und Betrug. Das Land scheint durch die Wahl gespaltener denn je zuvor. Natürlich ist diese Wahl ein Erfolg. Unzweifelhaft aber ist das Ergebnis in einem von Korruption und Bestechung, von Ausbeutung, extremer Armut und Analphabetentum geprägten Land kein Lehrstück fairer, unabhängiger oder gerechter Wahlen. Leider gibt das Ergebnis keinen Anlass zur Hoffnung auf gravierende Verbesserungen in der Lebensqualität der madagassischen Bevölkerung. Die Armut wird bleiben. Gewalt, Kriminalität und Überlebenskampf, besonders in den Ballungszentren, werden bleiben. Der Ausverkauf der Rohstoffschätze des Landes wird kaum gestoppt werden.

Trotz dieser Verhältnisse blick der Verein „Melzer-Madagaskar-Projekt e.V.“ auf ein sehr erfolgreiches Jahr 2013 zurück. Unser Verein ist nunmehr auf 25 aktive Mitglieder angewachsen. Wir haben inzwischen eine beeindruckende Anzahl an aktiven und zuverlässigen Helfern und Unterstützern, die mit organisatorischem Aufwand, mit Geld- und Sachspenden die Vereinsarbeit erst möglich machen. Dazu gehören viele unserer Patienten, dazu gehören Freunde und Kollegen, dazu gehören die Kliniken in Zeitz und Weißenfels und auch Pharmafirmen. Exemplarisch für alle möchten wir hier Familie Panther danken, die an Stelle von Geschenken für 2 runde Geburtstagsfeiern um Spenden für den Verein gebeten hatte. Nur durch all diese Helfer können wir den Mitarbeitern und Patienten der  Klinik St. Luc in Tuléar zuverlässig konkrete, projektbezogene Hilfe anbieten und realisieren.

Seit Oktober 2012 arbeitet Frau Dr. Anna Klöpfer nun schon an der Clinique St.Luc. Nach anfänglicher Skepsis der Kliniksleitung ist sie jetzt ein sehr wichtiger Partner vor Ort. Ihr Rat ist bei Ärzten und Schwestern gleichermaßen geschätzt. Unter ihrer Anleitung verbesserten sich Organisationsstrukturen und Hygiene in der Klinik. Ultraschalluntersuchungen werden nun routinemäßig durchgeführt. Blutuntersuchungen (z.B. Malariadiagnostik) wurden modernisiert. Dank ihrer Beziehungen zur GIZ konnte neue Labortechnik erworben werden. Anna Klöpfer führte Notfallweiterbildungen für die Schwestern mit Reanimationstraining durch. Ein Notfallkoffer wurde eingerichtet. Ein neuer Laptop mit Internetzugang ist zur Fachinformation der Mitarbeiter von unschätzbarem Wert. Sie organisierte neue Lehrbücher in französischer und englischer Sprache. Ihr Wirken vor Ort als Vereinsmitglied bringt uns Informationen aus erster Hand und hilft unschätzbar bei der Koordination der Projektarbeit. Erwähnt werden soll auch, dass private Aktivitäten ihres Vaters zu einer bedeutenden finanziellen Unterstützung des Vereins führten.

Heike und Frank Melzer reisten gemeinsam mit dem Kinderarzt Christian Hönemann aus Altenburg im März und April 2013 erneut an die Clinique St. Luc in Tuléar. Unübersehbar haben Armut und Dreck im Lande zugenommen. Es gibt mehr Bettler und Kleinkriminelle, mehr Polizei und Korruption, vereinzelt aber ausgestellter Wohlstand. Auf dem Land fehlt es an Verwaltung. Straßen werden nicht repariert und sind ungleich schlechter als 18 Monate zuvor. Das kleine Bahnsystem steht vor dem Kollaps. Landraubbau, riesige Erosionsschäden durch Brandrodung, fehlender Schutz der verbliebenen Naturreservate, Jugendliche mit Gewehren fallen auf. Unterwegs beeindrucken Lehm- und Holzhütten ohne Strom und Wasser, unheimlich viele Kinder und bettelarme Menschen. Der Putsch hat tiefe Spuren hinterlassen. In der Klinik erwartet uns ein begeisterter Empfang. Hier hat sich viel verbessert. Die mit unserer Planung und Finanzierung rekonstruierte Ambulanz ist modern, sauber, einladend. Alle Räume sind nun mit Waschbecken ausgestattet, Toiletten für Männer und Frauen mit modernem Standard. Dach, Fenster, Türen, Böden sind neu, die Wände hell gefliest. Neben viel Licht gibt es auch Schatten. Ein Chirurg verließ die Klinik in Richtung Hauptstadt. Auch Schwestern und eine der Hebammen werden an anderen Orten besser bezahlt. Ihr Weggang bedeutet Verlust. Aufgrund der erdrückenden Armut und der fehlenden Einnahmen war die Kliniksleitung nicht in der Lage, das Gehalt der Mitarbeiter zu erhöhen. Immerhin wohnen die meisten Mitarbeiter kostengünstig und mit mehr Sicherheit auf dem Kliniksgelände. Uns Besuchern fallen die hohe Arbeitsmoral, der Fleiß und die Wissbegierigkeit aller Mitarbeiter auf. Die Zusammenarbeit macht viel Freude. Der Übergang der Leitung der Klinik vom alten, erfahrenen Universalgelehrten und Mediziner Dr. Noël Rakotomavo auf den ökonomisch und organisatorisch begabten und hochmotivierten Sohn Herizo wirkt stockend. Der bauliche Zustand anderer Gebäude wie des Labors, der Entbindungsabteilung und der Krankenbaracke für die Armen sind erbärmlich. Der Verein bietet die komplette Finanzierung der Rekonstruktion dieser Krankenbaracke an, macht aber eine zeitgemäße Ausstattung mit Toiletten und Sanitärtrakt zur Bedingung. Von 2 Ultraschallgeräten, mit denen wir im Vorjahr arbeiteten, funktioniert nur noch eins, welches aber zertrümmert ist. Auch andere Technik und andere Vorräte werden nicht gepflegt und geschützt. Andererseits kam Ende des Jahres eine Kollegin von einer halbjährlichen Weiterbildung aus der Hauptstadt zurück, um an der Clinique St. Luc endoskopische Untersuchungen eigenverantwortlich durchzuführen. Und es gelang, 2 neue junge Ärzte anzustellen, die zu Chirurgen ausgebildet werden sollen. Der vom Verein gespendete Video-Beamer wird inzwischen regelmäßig alle 2 Wochen für Kinoveranstaltungen in der Klinik für Kinder und Erwachsene und zur Weiterbildung der Mitarbeiter genutzt. Wir kritisierten vor Ort die teils unwürdigen Unterkünfte einzelner Mitarbeiter. Hier investierte die Klinik in den vergangen Monaten erheblich, so dass von den Wirbelstürmen zerstörte Hütten nun als solide Häuser beachtliche Wohnqualität bieten.

Wie schon 2012 haben wir mit eindrucksvollen Fotos unserer Reise einen Jahreskalender „Madagaskar 2014“ gestaltet und immerhin 40 Exemplare verkauft. Manche Bestellwünsche konnten leider nicht mehr erfüllt werden. 300,- Euro Erlös ging an den Verein.

Nach unserer Reise im März-April 2013 an die Klinik gab es viel zu berichten. Unser Vortrag an der Zeitzer Volkshochschule war so gut besucht, dass die geplanten Räumlichkeiten nicht ausreichten und wir in die Aula umziehen mussten. Auch Vorträge im Bürgerhaus Hohenmölsen, in Langgrün und im Altenburger Klinikum zogen eine Vielzahl an Neugierigen an und brachten mit den sehr interessanten Veranstaltungen auch willkommene Spenden. Im November 2013 nutzten wir die Fachweiterbildung von Thüringer und Sachsen-Anhalter Ärzten in Freyburg, unsere Vereinsarbeit und die Clinique St. Luc vorzustellen. In der neurologischen und der urologischen Praxis Zeitz informierten aktuelle Fotoausstellungen über Land und Leute und die Klinik in Tuléar. Die Diapräsentation aktueller Bilder des Landes im Wartezimmer der urologischen Praxis wurde erneut sehr begeistert angenommen.

Die neue Webseite des Vereins wurde 2013 fertiggestellt. Um die Kosten für einen Grafiker zu sparen und mit den Spendengeldern sparsam umzugehen, hatten wir die Inhalte und Darstellung der Seiten selbst entwickelt. Nun ist eine überzeugende und informative Plattform entstanden, die unserem Anliegen gerecht wird. Die Vereinsarbeit soll persönlich, verbindlich und konkret verfolgt werden können. Berichte und Bilder sollen die Schönheit und Widersprüchlichkeit Madagaskars wiederspiegeln und Spender sich wiederfinden. Die Pflege und Aktualität der Webseite danken wir nun unserem Sohn Sebastian Melzer, der sich mit guten Ideen, viel Zeit und Sorgfalt schon seit März 2013 dafür verantwortlich fühlt.

Im April 2013 würdigte die Wartezimmerzeitung PRAXISVITAL die Arbeit des Vereins und besonders die Tätigkeit von Frau Dr. Klöpfer mit einem zweiseitigen Artikel. Im Mai bzw. Juni 2013 erschienen umfangreiche Artikel des in Madagaskar lebenden Journalisten Klaus Heimer, der uns bei unserer Tour im März 2013 von der Hauptstadt Tana an die Klinik in Tuléar begleitet hatte, über unsere Projektarbeit in der Mitteldeutschen Zeitung und in der Ostthüringer Zeitung. Der SuperSonntag berichtete 2x umfassend von unserer Reise und dabei sogar mit einem Livebericht aus der Klinik. Im November 2013 wurde in der Osterland Sonntagszeitung über unsere Arbeit informiert.

Das Transportproblem ist nicht gelöst. Kleinere Pakete senden wir unverändert nach Frankreich, um Einfuhrzölle zu umgehen. Dort werden sie von einem betagten Pater umetikettiert und zollfrei in die ehemalige französische Kolonie weitergeleitet. Da die Transportkette durch das Alter des Franzosen gefährdet scheint, sind wir froh, dass wir mit unserem französischen Freund Michaël Wizmann nun eine sichere und langfristige alternative Hilfe haben.

Ein anderes Transportproblem tat richtig weh. Der Geschäftsführer der Asklepios-Klinik Weißenfels Herr Bauer stellte 20 gut erhaltene, funktionstüchtige Krankenhausbetten mit Matratzen und Nachttischen bereit. Diese waren mit je 2 Hydraulikpumpen elektrisch verstellbar, aber in keiner Weise demontierbar. Diese Hightech- Ausstattung, für die deutschen Patienten eines renommierten Konzerns nicht mehr gut genug, ist für die Klimaverhältnisse in Tuléar ungeeignet und der Transport unrentabel. Wir verzichteten auf die Spende! Frau Dr. Birgit Nitsch und Herr Dr. Jörg Federbusch stellten der Klinik gut erhaltende Ultraschallgeräte zur Verfügung, die wir 2014 ebenso wie die ca. 20 Fahrräder der DEKRA- Akademie nach Tuléar versenden müssen.

Mit den finanziellen Einnahmen konnten wir in diesem Jahr wichtige Projekte realisieren: So haben wir die Auslagen der Clinique St. Luc für Frau Dr. Klöpfer finanziert. Alle nichtärztlichen Mitarbeiter der Klinik wurden mit einem ADES- Energiesparkocher versorgt. 2000,- Euro wurden der Klinik für dringende Reparaturen bereitgestellt. Alle anderen Rücklagen werden 2014 für die Rekonstruktion der Krankenbaracke benötigt, die wir mit 20 000 bis 30 000,- Euro veranschlagen.

Im Schatten dieser großartigen Ereignisse gab es auch andere Erfahrungen in Deutschland. Während unseres Madagaskaraufenthaltes hatten wir unter anderem die Gelegenheit genutzt, die staatliche Grundschule Motombe in Tuléar zu besuchen. Die Erlebnisse und Eindrücke sind unbeschreiblich: Armut pur. Wir sahen ein vom Zyklon im Februar 2013 erheblich zerstörtes Schulgebäude. Eine vorher vorhandene Reisküche fehlte. Lehrer arbeiteten unentgeltlich. Von über 300 Kindern kam nur noch ein Bruchteil zum Unterricht, da die übliche Reismahlzeit nicht mehr gewährt werden konnte. Staatliche Hilfe zur Reparatur des Schulgebäudes oder zum Wiederaufbau der Küche war überhaupt nicht in Sicht. Der schuleigene Brunnen war versottet und konnte nicht mehr genutzt werden. Schulmaterialien gab es kaum. Die Kleidung und die Armut der Kinder waren unbeschreiblich. Wir trugen die Erfahrungen, gemeinsam mit einer Vielzahl an eindrucksvollen Fotos und einer Bitte um Unterstützung für diese Schule an die Schulleiter der Gymnasien von Droyßig und Zeitz heran, leider ohne Resonanz.

Es bleiben genug Probleme: Die gigantische Armut in Madagaskar führt unverändert dazu, dass Patienten ihre Behandlung nicht bezahlen können. Auch bei gutem Willen der Kliniksärzte kann nicht jeder Kranke unentgeltlich behandelt werden. Es fehlt weiterhin an wichtigen Materialien des Krankenhausbetriebes. Manches kann vor Ort besorgt werden. Für viele Materialien und auch Kleinigkeiten stellen der Transportweg und die Versanddauer ein Problem dar.

Wir möchten hiermit allen, die unseren Verein „Melzer-Madagaskar-Projekt e.V.“ und damit zu 100% die Mitarbeiter und Patienten der Clinique St. Luc in Tuléar 2013 tatkräftig unterstützt haben, für Ihre Mitarbeit danken.  Bitte helfen Sie auch weiterhin. Wir als Verein garantieren die zuverlässige Verwendung der Spenden materieller und finanzieller Art.

 

Rippicha im Januar 2014

 

Heike & Frank Melzer

Frau Dr. Anna Klöpfer

Nach einigen Jahren meiner Tätigkeit als Internistin in deutschen und Schweizer Kliniken suchte ich eine neue Herausforderung, auch weil mich die perfektionierte, teure ‚Hochglanzmedizin’ nicht mehr befriedigte. Zudem war ich das ständige und aufwendige Schreiben leid. Mehr Büroarbeit als direkter Kontakt mit Patienten – so hatte ich mir meinen Traumberuf nicht vorgestellt. Als Jugendliche wuchs ich einige Jahre in Südafrika auf und hatte seitdem immer ein wenig Fernweh. Zudem habe ich während des Studiums weitere Praktika in Südafrika gemacht und ein Jahr in Lambaréné (Gabun) an einer Malariastudie mitgearbeitet. Dadurch habe ich ein Faible für die Tropenmedizin entwickelt. Zusätzliches theoretisches Wissen eignete ich mir in einem dreimonatigen Kurs für Tropenmedizin in London an.

Somit wuchs der Wunsch, in einem afrikanischen Land zu arbeiten und mich dort sinnvoll als Ärztin einsetzen zu können.

Nach Madagaskar verschlug es mich dann eher zufällig. Mit Hilfe und durch Empfehlung des Melzer-Madagaskar-Projektes konnte eine Anstellung an der Clinique St. Luc für 2 Jahren vereinbart werden. Das Centrum für internationale Migration und Entwicklung (CIM) (siehe Erklärkasten) setzte die Jobvermittlung in die Stelle an der Klinik um und fördert meinen Einsatz finanziell durch Zuschüsse zum lokalen Gehalt. Somit brach ich im September 2012 in den Südwesten Madagaskars auf, um an der Klinik zum einen Patienten zu versorgen, aber auch um nachhaltig Strukturen und Abläufe zu verbessern.

Inzwischen arbeite ich seit 9 Monaten in Tuléar und bin vollständig in das Team integriert. Am Anfang wurde ich noch vorsichtig beäugt, da ich die einzige „Vazaha“ (Fremde oder Weiße) im Team bin. Doch nach kurzer Zeit konnte ich das Vertrauen gewinnen und wurde mit offenem Herzen aufgenommen.

Die Tage beginnen mit der Ärztebesprechung. Hier werden die Patienten und insbesondere schwierige Fälle diskutiert. Danach geht es zur Visite oder in die ambulante Sprechstunde. Um selbstständig arbeiten zu können, habe ich mir in der Zwischenzeit die wichtigsten Kenntnisse des Madagassischen angeeignet. Nur noch ab und zu muss ich eine Krankenschwester zum Übersetzen bitten. Besonders die ärmeren Leute vom Land sprechen häufig kein Wort französisch und die madagassischen Dialekte sind unterschiedlich gut verständlich.

Der Ablauf der Sprechstunde und der Krankenvisite ist im Grunde ähnlich wie in Deutschland. Wir haben knapp 40 stationäre Betten. Aufgeteilt sind diese in 3 verschiedene Klassen, wobei internistische, chirurgische und pädiatrische Patienten bunt durcheinander liegen. Die wohlhabende Oberschicht leistet sich für knapp 10 Euro pro Nacht ein Einzelzimmer in der ersten Klasse mit eigener Toilette und Dusche, teils Klimaanlage. Die zweite Klasse kostet rund 3,60 Euro mit Toilette und Dusche auf dem Gang. Für die dritte Klasse kostet ein Bett lediglich 1,60 Euro. Dafür gibt es jedoch wenig Komfort, es sind mehrere Patienten in einem Zimmer, ein Plumpsklo befindet sich draußen. Durch diese Aufteilung gelingt es, auch die ärmeren Patienten zu behandeln. In Härtefällen werden Behandlungskosten sogar von der Klinik übernommen. Für alle Patienten gilt, dass die zahlreichen Familienangehörigen die Patienten umsorgen und für die Verpflegung verantwortlich sind.

Der größte Unterschied in der Behandlung ist, dass es keine fachspezifische Aufteilung der Patienten gibt und man somit eine enorme Bandbreite an Erkrankungen behandelt. Es gibt zudem viele Tropenerkrankungen. Diese  Mischung ist für mich eine Herausforderung, gleichzeitig macht sie die Arbeit aber auch sehr spannend und vielseitig. So sehe ich im ersten Zimmer beispielsweise einen operierten Patienten nach Prostataentfernung, im nächsten einen Mann mit Schlaganfall und Diabetes, dann ein Kind mit Magen-Darm-Grippe, und anschließend eine Frau mit Malaria.

Typische internistische Krankheitsbilder sieht man erstaunlicherweise genauso häufig wie daheim. Dazu gehören Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas und deren Folgeerkrankungen.

Vorstellig werden viele Patienten erst, wenn ihre Erkrankung schon weit fortgeschritten ist. Dies liegt hauptsächlich an den fehlenden finanziellen Mitteln. Folglich werden Schmerzen und körperliches Leiden ertragen und als schicksalhaft hingenommen. Weiterhin wird  häufig zunächst der traditionelle Mediziner befragt. So sieht man gelegentlich abstruse Fälle, wie den eines kleinen Jungen, der erst 2 Wochen nach einem Unfall mit offenem Unterarmbruch eingeliefert wird. Den herausstehenden Knochen hatte man zu Hause mit Tee und Creme behandelt und er war in der Zwischenzeit halb verfault.

 

Zur Diagnostik stehen zwar längst nicht alle Apparate und Tests zur Verfügung wie in Deutschland oder der Schweiz, aber immerhin können gute grundlegende Untersuchungen gemacht werden. Es gibt ein Ultraschallgerät, Röntgenapparat und ein Labor, welches relativ gut ausgestattet ist. So können hier unter anderem Blutbild, Leber-und Nierenwerte, Urinuntersuchungen und wichtige Infektionskrankheiten getestet werden. Auch Bluttransfusionen werden gemacht. Zu meinem Erstaunen stellte ich allerdings anfangs fest, dass die Malariadiagnostik nur unzureichend durchgeführt wurde, obwohl es so viele Malariafälle gibt und daher eine gute Diagnostik umso wichtiger ist. Ich habe diverse Anläufe gebraucht, um den Laborchef von einer Veränderung zu überzeugen. Doch im Endeffekt haben wir gemeinsam die verbesserte Technik erarbeitet.

 

Für die Behandlung steht eine große Auswahl an Medikamenten in der Klinikapotheke zur Verfügung. Nur ganz spezielle Medikamente wie für Chemotherapien gibt es nicht. Diese wären in der knapp 1000 km entfernten Hauptstadt erhältlich, aber sind für kaum jemanden erschwinglich. Für die chirurgische Versorgung gibt es einen gut ausgestatteten Operationssaal. Die Instrumente können im Autoklaven sterilisiert werden. Die Geburten werden in einem alten Saal gemacht, der dunkel und wenig einladend ist, so dass hierfür in der Zukunft eine Renovierung vorgesehen werden muss.

 

Zur Visite werde ich vom Pflegepersonal und Krankenpflegeschülern begleitet. Während der Visite erkläre ich die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten, hygienische Aspekte und leite pflegerische Tätigkeiten an. Auch gezielte Fortbildungen für das Pflegepersonal biete ich an. Der Grossteil des Pflegepersonals ist hoch motiviert, so dass Besprochenes gut umgesetzt wird. Zudem wird bei der Arbeit viel gelacht und die Zusammenarbeit macht Freude. Eine wichtige Verbesserung, die umgesetzt werden konnte, ist die Isolation der Tuberkulose-Patienten, welche bisher nicht gemacht wurde. Die speziell dafür vorgesehenen Schutzmasken haben wir kistenweise im Lager gefunden. Jetzt werden diese auch gewissenhaft vom Personal getragen, wenn ein Tuberkulose-Patient isoliert ist.

In den kommenden Monaten stehen einige Projekte an. Zum einen beginnt bald die Renovierung der 3. Klasse mit Neubau der Sanitäranlagen. Hierzu werden die Patienten vorübergehend in ein älteres Gebäude umgesiedelt. Weiterhin habe ich Fortbildungen im Bereich Notfallmedizin und Reanimation geplant, welche mit praktischen Übungen ergänzt werden und alle paar Monate wiederholt werden sollen. Einen Notfallkoffer habe ich bereits zusammengestellt und neu eingeführt. Für den Bereich der Lehre ist eine Bibliothek für das medizinische Personal geplant. Bücher und Lehrmaterial müssen aber nach und nach vor allem aus Europa eingeführt werden. Als Highlight bemühe ich mich zudem um die Anschaffung eines Laptops mit Internetzugang, welcher für Recherchen zur Verfügung stehen soll. Bisher haben weder die Ärzte noch Pflegepersonal Zugang zu Internet und das Gelernte begründet sich auf die Dinge, die im Studium gelernt wurden. Dieses liegt aber oft bereits Jahre zurück!

Ich freue mich auf die anstehenden Projekte und Pläne für die Klinik. Es bleibt eine stetige Herausforderung, diese möglichst zu aller Zufriedenheit umzusetzen.

Juli 2013
 Anna Klöpfer

Reisebericht Frühjahr 2013

Madagaskar im Frühjahr 2013: Die Hauptstadt Antanarivo zeigt ein pulsierendes Leben. Die Armut und der Dreck haben sichtbar zugenommen seit unserem letzten Besuch, mehr Bettler und Kleinkriminelle, noch mehr Korruption, mehr Polizei aber auch mehr sehr vereinzelt sichtbarer Wohlstand, wie z.B. teure Geländewagen. Alles Folge des Putsches gegen den zuvor legal gewählten Präsidenten 2009. 
Später erleben wir deshalb auf dem Land eingeschränkte Verwaltung, schwierige Selbstversorgung, desolate Strassen, ein vor dem Kollaps stehendes Bahnsystem des berühmten Dschungelexpresses nach Manakara, Landraubbau, gigantische Erosionsschäden, fehlender Schutz der wenigen verbliebenen Naturreservate, aber auch Jugendliche mit Gewehren auf der Straße. 
Nickelminen wurden an ausländische Investoren verhökert. Die Fahrt über mehr als 1000 Kilometer von Tana nach Tuléar auf der RN 7, der einzigen und lebenswichtigen Straße von Nord nach Süd, ist extrem viel schlechter als noch vor eineinhalb Jahren. Manche Strecken sind fast nur noch mit madagassischem Gleichmut und Allrad oder den allgegenwärtigen Zebukarren zu schaffen. Wenige Orte bieten uns Europäern unterwegs die Möglichkeit zur sicheren Bleibe. Dort pulsiert der Handel mit den kargen landwirtschaftlichen Produkten und chinesischem Kitsch. Unterwegs bleiben wir dauerhaft beeindruckt von Lehm- und Holzhütten ohne Strom und Wasser, unheimlich vielen Kindern, bettelarmen, kaum bekleideten Menschen entlang der Straße und knochenharter Arbeit auf den Feldern. Reis wird mit der Sichel geerntet, in riesigen Bündeln nach Hause getragen, mit der Hand gedroschen und liegt zum Trocknen in der Sonne. Fast alle Lasten werden hier getragen, manche Fahrzeuge mit Vollholzrädern erinnern an das Mittelalter. Zebukarren sind genauso überladen wie die Überlandkleinbusse. Technischen Fortschritt sucht man hier vergebens.

An der Klinik St. Luc in Tuléar dann ein begeisterter Empfang unter Freunden. Der schlimme Zyklon, der hier in der Stadt vier Wochen zuvor 23 Menschenleben gekostet hatte – 12 wurden noch vermisst und Tausende wurden obdachlos – hat an der Klinik vergleichsweise wenig Schaden angerichtet. Aufgrund der nicht legitimierten Putschregierung bleibt ausländische Hilfe rar und auf Nichtregierungsorganisationen beschränkt. So wurden von den USA 50.000 Dollar zur Verfügung gestellt. Wir besichtigten die vom Zyklon total zerstörte staatliche Schule Motombe in Tuléar. Von der Regierung zugesagte Hilfe blieb aus. Die Reisküche ist komplett zerstört, allen Räumen fehlt das Dach. Der Unterricht geht im Schatten der Wände zwar weiter, aber viele Kinder bleiben ohne Reismahlzeit nun weg. Unvorstellbar erschütternde Bilder!

Seit unserem letzten Aufenthalt hat sich an der Clinique St.Luc viel gebessert. Die mit unserer Planung und Finanzierung rekonstruierte Ambulanz wirkt nun modern, sauber und einladend. Alle Zimmer sind jetzt mit Waschbecken und Desinfektionsmittelspendern ausgestattet. Es gibt neue Toiletten für Männer und Frauen. Das Dach ist neu, die Fenster und Türen auch und Böden und Wände gefliest. Toll! Dr. Rakotomavo und Frau Dr. Klöpfer, die als deutsche Internistin vermittelt und bezahlt von unserem Verein hier arbeitet, führen uns durch die Klinik. Malaria, Typhus und Lebensmittelvergiftungen, Durchfall und Erbrechen haben seit dem Taifun erheblich zugenommen. Andere Teile der Klinik sind in einem erbärmlichen Zustand. In einer Patientenbaracke ist das Dach undicht, Putz blättert, Toiletten fehlen oder sind kaputt. Es gibt noch viel zu tun! Am Ende landen wir im von Dr. Melzer senior gestifteten Op- Saal mit modernem Op- Tisch, Narkosegeräten und Klimaanlage. Deren Bedeutung spüren wir bei weit über 30 Grad besonders gut. 
Über Ostern ist es wie in Deutschland auch an der Klinik etwas ruhiger. Die Sprechstunden und Besprechungen mit dem Personal sind interessant und effektiv. Wir bekommen gezielt ambulante und stationäre Patienten mit neurologischen und urologischen Erkrankungen vorgestellt und können gut helfen. Zwei Hebammen der Klinik belegen Dr. Hönemann mit Beschlag und lernen begierig europäische Standards beim Umgang, der Untersuchung, dem Impfen und der Pflege der Babies. Wir übergeben große Mengen an dringend benötigtem Nahtmaterial, Spezialkathetern, Verbands- und Büromaterial. Spenden- und Vereinsgelder sind gedacht zur Rekonstruktion der Krankenbaracke für die Ärmsten. Für uns unvorstellbar: In dieser Baracke gab es bisher nicht einmal Toiletten.

In langen Gesprächen mit der Kliniksleitung, vielen Mitarbeitern und fast immer mit Frau Dr. Anna Klöpfer wird eine intensive Freundschaft und Vertrauen deutlich, aber auch die Not. Für uns ist es nicht einfach, die vielen Widersprüche zu begreifen: Die Klinik bietet eine gute medizinische Versorgung, aber wichtige Medikamenten oder Materialien wie z.B. AIDS- Teste fehlen. Die Beachtung von Hygiene ist noch immer unzureichend, aber doch deutlich besser als noch vor 18 Monaten. Fehlende Einnahmen der Klinik aufgrund der unglaublichen Armut der südmadagassischen Patienten führen zu einer schlechten Bezahlung des Personals, so haben einige Leistungsträger der Klinik in den letzten Jahren die Stadt Richtung Norden verlassen. Wir sind begeistert vom Können und von der Leistungsbereitschaft der Ärzte, Schwestern und vieler anderer Mitarbeiter. Ethnische Besonderheiten, Medizinmänner, Armut und religiöse Vorgaben führen dazu, dass viele Patienten spät oder zu spät den Weg in die Klinik finden. Nicht jeder Patient kann kostenlos behandelt werden! Zwei neue Hebammen, in der Hauptstadt gut ausgebildet, verstärken das Team. Werbung für die guten Entbindungsmöglichkeiten an der Klinik wurde in der 180.000 Einwohnerstadt aber nicht gemacht. Medizinische Hilfsmaterialien werden teilweise nicht verwendet, da ihr Wert überschätzt wird und das Vertrauen in Nachschub fehlt. Aus Angst vor Korruption und Missbrauch muss Vieles gesichert werden. Das führt zu zusätzlichen Wartezeiten, Kosten, Problemen. Die Mehrzahl der Patienten hat noch nie ein WC gesehen oder benutzt. Sie sind Analphabeten. Vom Staat erhält die Klinik keinerlei Subventionen.

Unser Fazit: Hier ist ideelle und materielle Hilfe dringend weiter nötig, wurde und wird auch dankbar angenommen. Wir als Verein, kompetente Mitarbeiter an der Klinik und Frau Dr. Klöpfer garantieren deren zielgerichtete Verwendung. Zuversichtlich über die gelungene wertvolle Unterstützung zur besseren Versorgung von vielen Patienten der Region Tuléar in Madagaskar und der sozialen Absicherung von mehr als 50 Kliniksmitarbeitern und deren Familien sowie mit neuen Plänen für die kommenden Jahre fliegen wir nach Hause in eine andere Welt.

 

April 2013

 

Dres. Heike und Frank Melzer

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