Reisebericht Frühjahr 2013
Madagaskar im Frühjahr 2013: Die Hauptstadt Antanarivo zeigt ein pulsierendes Leben. Die Armut und der Dreck haben sichtbar zugenommen seit unserem letzten Besuch, mehr Bettler und Kleinkriminelle, noch mehr Korruption, mehr Polizei aber auch mehr sehr vereinzelt sichtbarer Wohlstand, wie z.B. teure Geländewagen. Alles Folge des Putsches gegen den zuvor legal gewählten Präsidenten 2009. Später erleben wir deshalb auf dem Land eingeschränkte Verwaltung, schwierige Selbstversorgung, desolate Strassen, ein vor dem Kollaps stehendes Bahnsystem des berühmten Dschungelexpresses nach Manakara, Landraubbau, gigantische Erosionsschäden, fehlender Schutz der wenigen verbliebenen Naturreservate, aber auch Jugendliche mit Gewehren auf der Straße. Nickelminen wurden an ausländische Investoren verhökert. Die Fahrt über mehr als 1000 Kilometer von Tana nach Tuléar auf der RN 7, der einzigen und lebenswichtigen Straße von Nord nach Süd, ist extrem viel schlechter als noch vor eineinhalb Jahren. Manche Strecken sind fast nur noch mit madagassischem Gleichmut und Allrad oder den allgegenwärtigen Zebukarren zu schaffen. Wenige Orte bieten uns Europäern unterwegs die Möglichkeit zur sicheren Bleibe. Dort pulsiert der Handel mit den kargen landwirtschaftlichen Produkten und chinesischem Kitsch. Unterwegs bleiben wir dauerhaft beeindruckt von Lehm- und Holzhütten ohne Strom und Wasser, unheimlich vielen Kindern, bettelarmen, kaum bekleideten Menschen entlang der Straße und knochenharter Arbeit auf den Feldern. Reis wird mit der Sichel geerntet, in riesigen Bündeln nach Hause getragen, mit der Hand gedroschen und liegt zum Trocknen in der Sonne. Fast alle Lasten werden hier getragen, manche Fahrzeuge mit Vollholzrädern erinnern an das Mittelalter. Zebukarren sind genauso überladen wie die Überlandkleinbusse. Technischen Fortschritt sucht man hier vergebens.
An der Klinik St. Luc in Tuléar dann ein begeisterter Empfang unter Freunden. Der schlimme Zyklon, der hier in der Stadt vier Wochen zuvor 23 Menschenleben gekostet hatte – 12 wurden noch vermisst und Tausende wurden obdachlos – hat an der Klinik vergleichsweise wenig Schaden angerichtet. Aufgrund der nicht legitimierten Putschregierung bleibt ausländische Hilfe rar und auf Nichtregierungsorganisationen beschränkt. So wurden von den USA 50.000 Dollar zur Verfügung gestellt. Wir besichtigten die vom Zyklon total zerstörte staatliche Schule Motombe in Tuléar. Von der Regierung zugesagte Hilfe blieb aus. Die Reisküche ist komplett zerstört, allen Räumen fehlt das Dach. Der Unterricht geht im Schatten der Wände zwar weiter, aber viele Kinder bleiben ohne Reismahlzeit nun weg. Unvorstellbar erschütternde Bilder!
Seit unserem letzten Aufenthalt hat sich an der Clinique St.Luc viel gebessert. Die mit unserer Planung und Finanzierung rekonstruierte Ambulanz wirkt nun modern, sauber und einladend. Alle Zimmer sind jetzt mit Waschbecken und Desinfektionsmittelspendern ausgestattet. Es gibt neue Toiletten für Männer und Frauen. Das Dach ist neu, die Fenster und Türen auch und Böden und Wände gefliest. Toll! Dr. Rakotomavo und Frau Dr. Klöpfer, die als deutsche Internistin vermittelt und bezahlt von unserem Verein hier arbeitet, führen uns durch die Klinik. Malaria, Typhus und Lebensmittelvergiftungen, Durchfall und Erbrechen haben seit dem Taifun erheblich zugenommen. Andere Teile der Klinik sind in einem erbärmlichen Zustand. In einer Patientenbaracke ist das Dach undicht, Putz blättert, Toiletten fehlen oder sind kaputt. Es gibt noch viel zu tun! Am Ende landen wir im von Dr. Melzer senior gestifteten Op- Saal mit modernem Op- Tisch, Narkosegeräten und Klimaanlage. Deren Bedeutung spüren wir bei weit über 30 Grad besonders gut. Über Ostern ist es wie in Deutschland auch an der Klinik etwas ruhiger. Die Sprechstunden und Besprechungen mit dem Personal sind interessant und effektiv. Wir bekommen gezielt ambulante und stationäre Patienten mit neurologischen und urologischen Erkrankungen vorgestellt und können gut helfen. Zwei Hebammen der Klinik belegen Dr. Hönemann mit Beschlag und lernen begierig europäische Standards beim Umgang, der Untersuchung, dem Impfen und der Pflege der Babies. Wir übergeben große Mengen an dringend benötigtem Nahtmaterial, Spezialkathetern, Verbands- und Büromaterial. Spenden- und Vereinsgelder sind gedacht zur Rekonstruktion der Krankenbaracke für die Ärmsten. Für uns unvorstellbar: In dieser Baracke gab es bisher nicht einmal Toiletten.
In langen Gesprächen mit der Kliniksleitung, vielen Mitarbeitern und fast immer mit Frau Dr. Anna Klöpfer wird eine intensive Freundschaft und Vertrauen deutlich, aber auch die Not. Für uns ist es nicht einfach, die vielen Widersprüche zu begreifen: Die Klinik bietet eine gute medizinische Versorgung, aber wichtige Medikamenten oder Materialien wie z.B. AIDS- Teste fehlen. Die Beachtung von Hygiene ist noch immer unzureichend, aber doch deutlich besser als noch vor 18 Monaten. Fehlende Einnahmen der Klinik aufgrund der unglaublichen Armut der südmadagassischen Patienten führen zu einer schlechten Bezahlung des Personals, so haben einige Leistungsträger der Klinik in den letzten Jahren die Stadt Richtung Norden verlassen. Wir sind begeistert vom Können und von der Leistungsbereitschaft der Ärzte, Schwestern und vieler anderer Mitarbeiter. Ethnische Besonderheiten, Medizinmänner, Armut und religiöse Vorgaben führen dazu, dass viele Patienten spät oder zu spät den Weg in die Klinik finden. Nicht jeder Patient kann kostenlos behandelt werden! Zwei neue Hebammen, in der Hauptstadt gut ausgebildet, verstärken das Team. Werbung für die guten Entbindungsmöglichkeiten an der Klinik wurde in der 180.000 Einwohnerstadt aber nicht gemacht. Medizinische Hilfsmaterialien werden teilweise nicht verwendet, da ihr Wert überschätzt wird und das Vertrauen in Nachschub fehlt. Aus Angst vor Korruption und Missbrauch muss Vieles gesichert werden. Das führt zu zusätzlichen Wartezeiten, Kosten, Problemen. Die Mehrzahl der Patienten hat noch nie ein WC gesehen oder benutzt. Sie sind Analphabeten. Vom Staat erhält die Klinik keinerlei Subventionen.
Unser Fazit: Hier ist ideelle und materielle Hilfe dringend weiter nötig, wurde und wird auch dankbar angenommen. Wir als Verein, kompetente Mitarbeiter an der Klinik und Frau Dr. Klöpfer garantieren deren zielgerichtete Verwendung. Zuversichtlich über die gelungene wertvolle Unterstützung zur besseren Versorgung von vielen Patienten der Region Tuléar in Madagaskar und der sozialen Absicherung von mehr als 50 Kliniksmitarbeitern und deren Familien sowie mit neuen Plänen für die kommenden Jahre fliegen wir nach Hause in eine andere Welt.
April 2013